the girl with the flower tattoo

emotional or reason, now which one do you obey?
spooks – “things i’ve seen”

sie fangen ja meist ganz harmlos an, diese geschichten, erst streifen sie deinen arm, nur ganz sacht, so, dass sich vielleicht die härchen von der leichten berührung aufrichten, dass da vielleicht der ansatz einer gänsehaut zu erkennen ist. aber irgendwann legen sie sich wie steine in deine magengrube und diese gänsehaut, sie wandert eines tages über deinen herzmuskel, umschließt ihn mit eisigen bewegungen und dann fühlt sich das alles nicht mehr wie ein wohliger schauer an, nein, dann hat das mehr ähnlichkeit mit einem wolkenbruch, der sich in dir eingenistet hat.

– über was denkst du nach?
– über uns …

01:33
sie senkt den kopf, weil sie sich zu viele erinnerungen in den nacken geklemmt hat. sie sitzt mit angewinkelten beinen vor ihrem bücherregal auf dem boden – dostojewski, nabokov und murakami im rücken –, und das glas rotwein, das sie schluchzend mit ihrer hand umklammert, fängt ihre tränen auf, die von ihren leicht geröteten wangen wie perlen in die tiefe fallen.

obwohl sie die beziehung beendet hat, fühlt sie sich verlassen. sie möchte schreien. und einfach nur still sein. sie ist absolut leer. und gleichzeitig ein fass, das kurz vorm überlaufen ist. da war nichts, was ihr den abschied erträglich gemacht hat. nichts, was sie aufheben und an ihr herz pressen könnte. da war nur dieses widerliche aufbäumen, das sich ihr in den weg gestellt hat. das vielleicht nach atemnot klang. nicht aber nach luftholen. so, wie sie es sich vorgestellt hatte.

das ganze darüber nachdenken und in zweifel stellen verschachtelt ihren kopf. sie ballt die hände zu fäusten und schlägt gegen die wand. zuerst sind es nur zaghafte versuche, sich wieder zu spüren. doch dann schlägt sie fester zu. wieder und wieder. bis ihre fingerknöchel blutig sind, weil die haut allmählich aufplatzt und in kleinen fetzen herunterhängt. sie verteilt rote spuren auf der weißen rauhfasertapete. spuren aus verzweiflung und nackter wut.

sie greift nach kafka am strand. wirft es voller wucht in die hinterste ecke ihres wohnzimmers, will kafka nicht mehr sehen. greift nach lolita und schmeißt es kafka hinterher. sie trinkt mehr wein. und mit jedem weiteren schluck zieht sie eines ihrer bücher aus dem regal und schleudert die aufwirbelnden seiten in hohem bogen durch den raum. sie ist sauer, weil ihr die wortgewandtheit gefehlt hat, um sich zu erklären. jetzt will sie worte leiden sehen.

22:54
es funktioniert einfach nicht … mehr hast du mir nicht zu sagen? mehr nicht …?
– mehr kann ich dir nicht sagen …
– die ganze zeit über wolltest du meine aufmerksamkeit. aber meine gefühle, die stören dich? was ist das? verträgst du keine nähe? hast du angst vor liebe? oder bist du einfach nur beziehungsunfähig?
– sei still. bitte, sei endlich still …
– was erwartest du? dass ich das so hinnehme, vielleicht einmal mit der schulter zucke und so tue, als wäre nichts geschehen? als wäre all das zwischen uns nur ein spiel gewesen …?
– schnauze!
– ich lasse mir doch von dir nicht den mund verbieten! verdammt, ich bin es leid, mich deinen regeln unterwerfen zu müssen. fuck you!
fuck you?, wiederholt sie trotzig, ja, du hast recht, vielleicht sollte ich das machen. ich kann es mir auf jeden fall besser besorgen als du …
er greift nach ihrem kohlschwarzen haarschopf, zieht in ruckartig nach unten und funkelt sie von oben herab an:
– weißt du was? such dir von nun an typen aus, die du am nächsten morgen zum teufel jagen kannst. oder die dumm genug sind, sich nicht in dich zu verlieben. denn mit so etwas kannst du ja scheinbar nicht umgehen …
– arschloch, stammelt sie schluchzend.
– viel zu lange schon, schätzchen. viel zu lange …

er scheint noch etwas sagen zu wollen, schluckt es aber runter, dieses pulsierende gefühl von unverständnis, sucht noch einmal ihren blick – die whiskyfarbenen augen, die weit aufgerissen ins leere starren –, holt tief luft und ein geräusch von stumpfer machtlosigkeit schlüpft aus seinem mund. ein feuchtes schimmern lässt erahnen, dass er mit den tränen kämpft, dass er sich nicht zwischen wut und sehnsucht entscheiden kann. er macht eine ausladende geste mit seinen armen, als wolle er all das, was eben gesagt wurde, zur seite fegen, streicht ihr sanft mit den fingern über die wange und hinterlässt auf ihrer haut ein warmes kribbeln, das sich nicht nach freundschaft, sondern nach den vorboten eines endgültigen abschieds anfühlt.

bei dieser letzten berührung, da muss sie daran denken, wie sie eines nachts vor seiner tür stand, tränenüberströmt, die augen verheult und gerötet. er nahm sie an die hand, sagte nichts, zog sie in den flur und seine arme schlossen sich um sie. so hielt er sie minutenlang wortlos fest, bis das zittern allmählich nachließ, dann nahm er ihren kopf zwischen beide hände, löste ihn von seiner brust und blickte ihr tief in die augen: so, und jetzt nehmen wir die letzten beiden tränen und verwandeln sie in ein lächeln. er strich mit seinen daumen über die glitzernden spuren die unter ihren augen verliefen, senkte die finger ein wenig und zeichnete die ausläufer eines lächelns mit seinen daumen von ihren mundwinkeln hin zu ihren grübchen. diese kleine geste, sie wirkte so banal und irgendwie auch kitschig, und dennoch musste sie tatsächlich lächeln.

aber jetzt verrauscht all das in aufsplitternden gefühlen. er dreht sich um, geht in richtung flur, merkt, dass seine jacke noch über dem stuhl hängt, geht zurück, nimmt sie und verlässt mit entschlossenen schritten ihre wohnung. bevor die tür zuknallt, glaubt sie ein leises lebewohl zu hören. was nun zurück bleibt und diese nacht in ungleich schwärzeres licht taucht, ist nur ein kaltes schweigen. und das leichte beben, das wie die mitternachtsschwere brandung durch ihren körper schwappt.

19:27
wie ein kummervoller schmetterling, der gefahr läuft in tautropfen zu ertrinken, steht sie vor ihrem kleiderschrank und schmeißt alle möglichen sachen auf ihr bett. sie kann sich nicht entscheiden, was sie anziehen soll, zwängt sich letztlich in eine hautenge jeans, die sich makellos um ihre schlanken beine schmiegt, schnappt sich eine neue bluse und taucht in den weichen baumwollstoff, als könne sie damit wahrheiten genauso leicht verhüllen wie ihre vollkommene figur.

sie steht fast so lange im bad wie vor ihrem ersten date. dieses mal aber nicht, um ihre aufregung zu überdecken, sondern um ihre unsicherheit unter einem perfekten make-up zu verstecken. die kleine bisswunde an ihrer oberlippe, das überbleibsel der vorletzten nacht, als der typ meinte, ihr in die lippen beißen zu müssen, sie überlegt noch, ob sie es überschminken soll, greift nach einem roten lippenstift – russian red –, aber sie legt ihn wieder zurück, weil sie sich sicher ist, dass er es so oder so sehen wird, dass er sich seinen teil denken wird, und dass es auch keinen unterschied mehr macht.

sie ist zerrissen. wie diese fotos, die man nach einer trennung voller zorn in zwei hälften zerteilt. weil sie sich freut, ihn wiederzusehen. und weil sie angst hat. weil sie nicht weiß, was sie ihm sagen soll. sie trinkt noch einen schluck wein. und putzt sich dann ein zweites mal an diesem abend die zähne.

einige stunden später
der nächste morgen schwankt vorsichtig an dem schmalen, von einem dunklen holzrahmen eingefassten fenster vorbei. tiefe wolken zerteilen das wachsweiche ausatmen der sonnenstrahlen und würfeln ein ungleichmäßiges licht auf ihre zerwühlte bettdecke. das kurze vibrieren ihres handys reißt sie aus ihrem unruhigen schlaf. ein klopfendes unwohlsein kriecht ihre kehle hinauf, weil sie trotz allem hofft, dass die sms von ihm ist. und weil sie sich genau davor fürchtet. aber auf dem display steht der name des typen, der sich an ihrer lippe festgebissen hatte. der genau in dem moment in ihr leben geschlichen kam, als sie alles andere in frage stellte.

na, süße, den abend gut überstanden?

es war beschissen. und schrecklich absurd.

soll ich zu dir kommen?

lass mich in ruhe. lass mich einfach nur in ruhe …

sie lässt das handy auf den boden fallen, dreht sich mit angewinkelten beinen zur seite, zieht das große kopfkissen an ihre brust und umklammert es fest, weil sie sich an irgendetwas festhalten muss, an irgendetwas, das sich nicht wehren kann, das sie nicht im stich lässt. sie drückt ihr gesicht in das weiche kissen. und eine einzelne träne läuft an ihrer wange herab, schiebt sich zögerlich über ihr kinn und fällt auf das blumentattoo, das sich an ihrem hals entlang schlängelt. aber die dunkelrote belladonnalilie, die von ihrem schulterblatt bis hinter ihr ohrläppchen reicht, zeigt keine regung. nur ein leichtes auf und ab der blütenblätter lässt erkennen, dass nika überhaupt noch am atmen ist.

 

help, i have done it again
i have been here many times before
hurt myself again today
and, the worst part is there’s no-one else to blame

be my friend
hold me, wrap me up
unfold me
i am small
i’m needy
warm me up
and breathe me

ouch, i have lost myself again
lost myself and i am nowhere to be found,
yeah, i think that i might break
i’ve lost myself again and i feel unsafe

[…]

sia – „breathe me“

 

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