distanzen

irgendwie ist das ja seltsam. wie du deine koffer packst, ohne zu wissen, wohin dich deine reise führen soll. wie du auf luftstrecken deine nasenspitze gegen das kleine fenster drückst und versuchst, in gedanken wolkenschlösser zu kneten. wie du auf schienen die landschaft zerteilst und die augen schließt, um dem verwischen der farben nicht mehr folgen zu müssen. wie du auf staubigen straßen von schlaglöchern wachgerüttelt wirst und nicht aufhören kannst nachzudenken. wie du überall sein willst – nur nicht hier. seltsam, ja. weil du ein rastloser weltenbummler geworden bist, der zwischen verschlossenen türen einen ausweg sucht.

du bist stetig in bewegung. bist wie eine jazzmelodie, die unaufhörlich inmitten filigraner möglichkeiten pendelt. du folgst nur den zeilen, die sich im sonnenlicht auflösen. und den worten, die aus buchseiten fallen. du bist ein weltumsegler ohne segel. du verläufst dich, ohne ein festes ziel zu haben. du gehst und gehst, aber deine schritte sind nicht entschlossen. sie seufzen zögerlichkeit auf deinen weg.

seltsam, dass du immer wieder postkarten kaufst. vielleicht auch um dich zu vergewissern, wo du zwischen dem verknüpfen von entfernungen gerade innehältst. vielleicht ist das deine art von analoger standortbestimmung. aber es steckt mehr dahinter. du kaufst postkarten, auf denen gebäude abgebildet sind. gebäude, die aus zusammengewürfelten geometrien bestehen. aus versetzten stockwerken, welligen betonlinien oder schrägen glasfronten. aber auch gebäude, an deren mauern jahrhunderte vorbeigeflossen sind. auf denen mächtige kuppeln thronen, die ihre horizontalen kräfte auf massive widerlager verteilen.

du greifst nach architektonischem lächeln. und das ist nicht seltsam. denn du weißt genau, warum. weil du bei li(e)beskind nicht an taschen denkst. sondern an philosophische formensprache, die der baukunst neue sinnzusammenhänge verleiht. kannst du dich noch erinnern, wie du als jugendlicher davon geträumt hast, mit architektur geschichten erzählen zu können? ja, das kannst du. weil sie dich wieder daran erinnert hat. aber mittlerweile hast du eine andere sprache gefunden.

jetzt bist du rastlos. verrennst dich in lichterlosen irrwegen und changierenden reiseplänen. du hauchst im pulstakt deine fußspuren auf fremde pflastersteine. du krempelst die ärmel hoch und steckst die hände in die taschen, wenn du deine melancholie hinter distanzen verstecken willst. du schlummerst mit halbgeöffneten augen auf durchgelegenen matratzen. du vagabundierst im dämmerzustand durch tagträume. und ein wirrwarr unbekannter wörter küsst deine ohren.

du verschwendest dich. du xerografierst jeden tag die gleichen bilderwelten. weil ja doch alles irgendwie austauschbar ist, flutest du deine wahrnehmung mit kaum registrierbaren abdrücken. du zelebrierst das verfehlen von gelegenheiten. du stellst dich dir selbst in den weg. und kommst nur dann zur ruhe, wenn du dir für einen wimpernschlag eine unterbrechung schenkst. wenn du in einem café sitzt. auf einer parkbank. oder einer mauer. dann kann es passieren, dass du eine postkarte aus deiner reisetasche hervorholst. du greifst zum stift und beginnst zu schreiben.

mal schreibst du auf, was du erlebt oder gesehen hast. mal notierst du nur ein einzelnes wort, das dir gefällt. obwohl du gar nicht weißt, was es zu bedeuten hat. etwa azahar oder libélula. dann wieder sind es stimmungslagen. kleine beobachtungen. oder gesten. lautmalereien. farben. wetterbeobachtungen. ja, über das wetter kannst du viele worte verlieren … und manchmal schreibst du über das, was dir seltsam vorkommt. wie seltsam du es findest, dass die sonne jeden abend in das meer fällt, ohne dabei nass zu werden. oder wie seltsam sich die tränen anfühlen, die über deine wangen kullern, wenn aus einem geöffneten fenster la traviata auf die straße geweht wird.

seltsamkeit ist deine reisebegleiterin. und sie ist deine einzige. seltsam ist vielleicht auch, dass du nicht eine postkarte abgeschickt hast. du hast sie frankiert und auf jede karte die gleiche adresse geschrieben. aber du steckst sie alle zurück in deine reisetasche. und trägst sie von einem ort zum nächsten. denn briefkästen machen dir angst. weil du das gefühl hast aufzuwachen, wenn du vor ihnen stehst. weil sich dann dein bewusstsein verschiebt und deine hand zitternd in der reisetasche die postkarten umklammert. aber du taumelst weiter. ohne ziel. und ohne festen boden unter den füßen. nur noch bis zur nächsten straßenecke. nur noch ein stückchen. nur noch wenige meter. dann kannst du wieder atmen. dann kannst du wieder frei denken. und deine marschroute dem lauf der sonne unterordnen. und vielleicht, ja vielleicht fühlt sich das alles irgendwann nicht mehr so seltsam an.

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